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NACHGEFRAGT: AUTORENSICHT - Martin Roemer

Moin!

Schön, dass Sie dabei sind und sich den Fragen stellen.

Damit die Leser wissen, mit wem sie es zu tun bekommen, stellen Sie sich in 3 Sätzen bitte vor:

- Ich bin 1958 in Hamburg, habe dort und in Tübingen studiert und lebe seit 2010 mit meiner Frau in Brunsbüttel.

- Seit bald zwei Jahrzehnten veröffentliche ich regelmäßig Bücher, hauptsächlich Lyrik, wobei ich in den letzten Jahren gerne Lyrik und Prosa gemischt habe.

- Meine letzten Veröffentlichungen sind Länderporträts, keine Reiseführer, sondern belletristische Bände, in denen es um Landschaft, Kultur und Geschichte (bis in die Gegenwart hinein) geht; Näheres einschließlich Leseproben auf meiner Webseite.

Und nun geht es auch schon mit dem Kurzinterview los!

1) Wann haben Sie zum ersten Mal realisiert, dass Sie Schriftsteller werden wollten?

Das war in den 1990er Jahren, als die ersten Gedichte auf dem Papier standen, von denen ich wusste, dass ich sie nie wieder bearbeiten würde, weil sie formal wie thematisch ihre bestmögliche Form gefunden hatten. Tatsächlich habe ich bis heute an diesen Texten kein Jota geändert.

2) Was sind die wichtigsten Punkte, die ein gutes Geschichtenerzählen ausmachen?

Da halte ich mich als Lyriker und Essayist etwas zurück. Ich höre den Geschichtenerzählerinnen und -erzählern in der Literatur jedenfalls besonders gerne zu, wenn ich das Gefühl habe, sie bleiben selbst im Fiktiven glaubhaft, ehrlich, konzentriert und bringen die Dinge so auf den Punkt, dass ich ihr Buch nie wieder ganz vergessen kann. Vor Kurzem habe ich ‚Adressat unbekannt‘ von Kathrine Kressmann Taylor gelesen. Kürzer geht es nicht, aber das Buch von 1938 hallt endlos lang nach.

3) Was ist Ihnen als Autor wichtig, mit Ihren Geschichten als Prosa-Autor/als Lyriker auszudrücken?

Natürlich schreibe ich, ob in Lyrik oder Prosa, gern über ‚schöne‘ Dinge. Aber zum Schreiben gebracht haben mich eher Erfahrungen des Leids, seien sie persönlicher Art, geschichtlicher Natur oder die heutigen Qualen, die Menschen einander zufügen. Mein erster Gedichtband ‚Sternenfinsternis‘ war der Shoáh, dem Holocaust, gewidmet, weil ich mich als Sohn antinazistisch eingestellter Eltern gefragt habe, wozu ich selber im Guten oder Bösen imstande wäre, und weil ich dem Grauen Worte verleihen und Dunkles in Licht verwandeln wollte. Dabei habe ich festgestellt, dass Lyrik, wenn sie nur gut genug gefertigt ist, ein Mehr an Leid zu tragen vermag als Prosa. Das liegt an der Reibung zwischen unvermeidlich schöner Form und schrecklichem Inhalt, die den durch menschliches Handeln ausgelösten Verlust so schreiend grell hervortreten lässt. Meine letzten Bücher, ‚Apoll an der Hand‘ über Griechenland und ‚Baltische Rhapsodie‘ über das Baltikum, beides Mischungen von Lyrik und Prosa, beschreiben wunderbare Erfahrungen, geben aber auch den Stimmen Ermordeter Raum, etwa wenn im Falle des Baltikums von Stalins Deportationen oder dem Holocaust in Lettland und Litauen die Rede ist. Wer durch Europa reist, erst recht als Deutscher, muss beides sehen: die Schönheiten von Natur und Kultur ebenso wie die Geschichte der Barbarei. Beim Schreiben denke ich immer wieder, ich muss beide Waagschalen befüllen, damit es stimmt.

4) Was würden Sie tun, wenn Ihr Protagonist/Ihre Protagonistin Sie plötzlich besuchen kommt?

Als Lyriker und Essayist wandle ich für mich die Frage etwas ab: Gerade in der Lyrik geschieht es mir, dass mich ein Thema so stark anspringt, als ob mich Personen, Szenen, Ereignisse aufsuchen würden, gleich, ob sie der Vergangenheit oder der Gegenwart entstammen. Ich sehe sie vor mir, höre sie, und manchmal wirkt es so, als ob ich nur noch aufzuschreiben bräuchte, was mir begegnet. Nennen Sie es, wie Sie wollen, für mich ist es eine Art von medialem Schreiben in Trance.

5) Die ‚Sunday Times‘ hatte 1000 Menschen gefragt, welchen Beruf sie als nicht-notwendig erachten, die während der Corona-Krise unterstützt werden sollten. Dabei landete „Künstler“ auf Platz 1.

Wie denken Sie darüber?

Es wundert mich eigentlich nicht, obwohl diese Einstufung durch die Gesellschaft natürlich absolut idiotisch ist. Zunächst einmal spricht daraus eine enorme Unkenntnis der Lebens- und Arbeitsbedingungen dieser Menschen, der – bis auf prominente Ausnahmen – meist extremen Verwundbarkeit ihrer ökonomischen Existenz. Bei dieser „Kann weg“-Antwort hat man gar nicht richtig nachgedacht. Aber darin zeigt sich noch eine tiefere Kluft: Für viele erscheinen Kunst und Kultur als weniger lebensnotwendig, weil man sich, anders als beim Bäcker, den man täglich braucht, daran scheinbar problemlos vorbeibewegen kann. Zwar lässt sich Kultur – also „echte“ Kultur – natürlich genießen, aber meist erfordert sie selbst beim Genuss doch einiges an Anstrengung. Kunst und Kultur erfordern geistige und emotionale Arbeit, die über den gewöhnlichen Alltag hinausreicht. Dem muss man sich aktiv aussetzen wollen; zum puren Relaxen eignet die Kunst sich nicht. Zudem sind wir, wie mir eine Bekannte dieser Tage so schön schrieb, „keine Gemeinschaft von Menschen bzw. Bürgern, sondern von Konsumenten“. Kultur ist aber etwas, das sich, wenn man sie ernst nimmt, dem reinen Konsum zwangsläufig entzieht. Ich glaube auch, dass sich eine – soweit das überhaupt geht – ‚demokratisierte‘ Kultur unter den Marktgesetzen des Kapitalismus einer gewissen Verflachung nicht entziehen kann. Sex sells, und die sogenannten Eliten wussten ihre Position schon immer durch panem et circenses abzusichern. Das Ranking der ökonomischen Wertschätzung ist jedenfalls eindeutig: Das Dreschen von Fuß- oder Tennisbällen oder das Endlos-Kreisenlassen von Formel 1-Maschinen werden eindeutig höher bewertet als die wohlgesetzte Platzierung von Worten in Büchern oder von Noten in komplexen Partituren. Vielleicht aber hat ja die eine oder der andere unter Corona-Bedingungen – und die sind ja noch längst nicht vorbei – in manch ruhiger Minute doch erfahren, welcher Reichtum sich auftut, wenn man sich intensiv mit künstlerischen Produkten aus Vergangenheit und Gegenwart befasst. Es hat natürlich immer etwas Abschätziges an sich, wenn man von nicht-notwendigen Berufen spricht. Aber wenn, dann denke ich da eher an so eigentümliche Existenzformen wie ‚Animateur‘ oder ‚Massentierhalter‘.

6) Schreiben Sie bereits an einem neuen Buch? Wenn ja, können Sie uns schon etwas darüber verraten?

Ich habe gerade ein etwas ungewöhnliches Manuskript abgeschlossen: 32 Gedichte zu den 32 Klaviersonaten Beethovens, vorangestellt ein einleitender Essay über meine lebenslange innere Verbindung mit diesem Komponisten und seinen Werken. Die Gedichte verfolgen teils Assoziationsketten zu den einzelnen Sonaten, teils gehen sie detaillierter auf die einzelnen Sätze und Kompositionstechniken ein; vieles, was sich bei mir im Laufe meines Lebens angesammelt hat, ist darin eingegangen. Dass das Ganze ausgerechnet pünktlich zu Beginn des Beethovens-Jahres fertig wurde, ist übrigens reiner Zufall; anfangs war ich mir gar nicht einmal sicher, ob ein solcher Versuch von Erfolg gekrönt sein würde. Jetzt habe ich das Gefühl, dem wunderbaren Kosmos der Klaviersonaten gerecht geworden zu sein.

7) Viele Leser möchten gern mit ihren Lieblingsautoren in Kontakt treten. Gibt es bei Ihnen dazu eine Möglichkeit? Haben Sie eine eigene Internet- oder Facebookseite?

Am besten über meine Webseite: www.martin-roemer.eu – da erreicht mich jede Anfrage und wird so schnell wie möglich beantwortet.

Wir vom Verband der Schriftsteller in Schleswig-Holstein e.V. bedanken uns für die Zeit, die Sie sich für die Beantwortung unserer Fragen genommen haben und wünschen Ihnen bei Ihrem kreativen Schaffen weiterhin viel Erfolg!

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